Volksentscheidsranking: Hessen weiterhin nur Mittelmaß


Laut Volksentscheidsranking von Mehr Demokratie e.V. konnte Hessen seine Position hinsichtlich der direkten Demokratie durch die Reformen der Verfassung 2018 leicht verbessern – ist aber im Ländervergleich immer noch im Mittelfeld. Allerdings befindet sich der „Volksentscheid Verkehrswende Hessen“ in den Startlöchern der Unterschriftensammlung: Die Chance auf den ersten erfolgreichen Volksentscheid in Hessen ist da. 
 

Volksbegehren und -entscheide – worum geht’s?
Alle hessischen Bürger:innen können Entscheidungen des Landtags widerrufen oder neue Themen auf die politische Agenda setzen. Dadurch erhalten Bündnisse die Möglichkeit, selbst Gesetze zu erlassen, zu verändern oder aufzuheben. Das direktdemokratische Verfahren für Bürger:innen in Hessen ist dreigliedrig.

Um direkt Einfluss auf die Landespolitik nehmen zu können, müssen Initiativen zunächst einen Gesetzentwurf ausarbeiten und ein Volksbegehren beantragen. Dabei sind rund 44.000 Unterschriften frei zu sammeln. Bei einer Zulassung des Begehrens bleibt Initiativen auf der zweiten Stufe 6 Monate Zeit, circa 5% der Stimmberechtigten zu mobilisieren – inklusive Überzeugungsarbeit, dass diese ihre Unterschrift auf den Gemeindebehörden leisten. Zum Volksentscheid kommt es, wenn diese Hürden übersprungen werden. Hierbei stimmen alle Bürger:innen über eine Sachfrage ab. So weit, so gut: Klingt machbar, ist es im hessischen Kontext aber nur so halb.


Reform 2018 – ja, aber…
2018 stand eine Verfassungsreform auf dem Programm, deren Effekte mit gemischten Gefühlen zu beurteilen sind. Aus unserer Sicht sehr erfreulich: Das Unterschriftenquorum für Volksbegehren wurde von 20 auf 5 Prozent gesenkt. Damit kann das Instrument nun realistisch angewandt werden. Weniger positiv stimmt die Einführung eines 25%-Zustimmungsquorums für Volksentscheide. Ebenso wurde die Gelegenheit nicht genutzt, andere Verfahrenshürden (Themenausschlüsse, Verbot von Verfassungsänderungen per Volksbegehren) zu verbessern. Das Volksentscheidsranking lässt Hessen aufgrund der Verfassungsreformen von Platz 15 auf Platz 9 klettern.

Und dennoch zeigt der Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen bspw. die Amtseintragung nicht die einzige Form des Unterschriftensammelns auf der zweiten Stufe des Volksbegehrens ist, dass noch deutlich Luft nach oben besteht. Mit faireren Fristen, Möglichkeiten zur freien Sammlung und geringeren Quorenhöhen sind Thüringen, Bremen und Schleswig-Holstein auf den vorderen Plätzen. Von diesen ist Hessen auch nach der Verfassungsreform noch weit entfernt. 


Verkehrswende Hessen – erster erfolgreicher Volksentscheid?
Nachdem 1966 das erste und letzte Volksbegehren die erste Zulassungsstufe überwunden hat, gibt es aktuell eine Chance für ein hessisches Initiativenbündnis, direktdemokratische Beteiligung zu realisieren. Der „Volksentscheid Verkehrswende Hessen“ ist aus dem Zusammenschluss von VCD, ADFC, Fuss e.V. sowie den Radentscheiden in Frankfurt, Darmstadt, Offenbach und Kassel entstanden.

Das Bündnis hat bereits den Entwurf für das Gesetz ausgearbeitet, das direkte Forderungen und konkrete Umsetzungsmaßnahmen vorschlägt. Ziel des Gesetzes sind gleichwertige Mobilitätsmöglichkeiten für alle. Attraktive Alternativen zum motorisierten Individualverkehr sollen die Mobilität bis 2030 klima- und sozialverträglich gestalten sowie durchgängige Barrierefreiheit erreichen. Dabei soll die Verkehrsplanung insbesondere an Fußgänger:innen und Radfahrer:innen orientiert sein. In diesem Sommer will der Volksentscheid Verkehrswende mit der freien Unterschriftensammlung beginnen. 


Warum ist direktdemokratische Beteiligung so wichtig?
Wir von Mehr Demokratie Hessen setzen uns für mehr Beteiligungsmöglichkeiten auf der kommunalen und Landesebene ein. Unsere Kampagne für faire Bürgerbegehren in Hessen adressiert die lokale Ebene. Aber auch Volksentscheide besitzen eine umfassende Korrekturfunktion der gesetzgebenden Parteien im Landtag. Bürger:innen können selbst ein Thema auf die Tagesordnung der Parlamentarier:innen setzen. Ein erfolgreiches Volksbegehren intensiviert diskursive Prozesse rund um ein Thema, weil es gesellschaftliche breiter diskutiert wird und damit die Entscheidungsfindung nachvollziehbarer wird.

Ein weiterer Vorteil ist die Diversität der dieses Instrument nutzenden Vereine, Initiativen und Privatpersonen. Da sich theoretisch jede:r eines individuell für relevant erachteten Themas annehmen kann, wird der politische Prozess bunter und ermöglicht vielfältige Mitbestimmung abseits des Wahlsonntags. Die Möglichkeit dazu erhöht wiederum politisches Engagement der Bürger:innen, die potenziell durch einen Volksentscheid politisiert werden und sich anschließend auch in anderer Hinsicht für unsere Demokratie einsetzen. 


Und ist es nicht genau das, was unsere Demokratie, egal ob auf kommunaler, landespolitischer oder Bundesebene braucht? Engagierte Bürger:innen, die die Chance erhalten, über konkrete Sachfragen mitzubestimmen und weniger gegen „die da oben“ wettern können? Politisch denkende und handelnde Menschen sind der Kern einer lebendigen Demokratie, die Transparenz, legitimierte Entscheidungen und diskursiven Austausch schätzt.

Damit das nicht nur eine Floskel, sondern gelebtes Verständnis ist, braucht es faire Regelungen, um diese Haltung mit Leben füllen zu können. Auch in Hessen!

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