Verfassungsreform - so ändert sich die direkte Demokratie

Am 28. Oktober stimmt die wahlberechtigte Bevölkerung über insgesamt 15 Änderungen an der Hessischen Landesverfassung ab. Dabei soll auch die direkte Demokratie erleichtert werden. Was sich genau verändert und wo Nachbesserungsbedarf besteht, erfahren Sie in diesem Artikel. 

Endlich: Nach jahrzehntelangem Stillstand soll die direkte Demokratie auf Landesebene reformiert werden. Eine Kommission hat zwei Jahre lang Änderungsvorschläge für die Verfassungsreform ausgearbeitet und dabei auch entschieden, dass die Unterschriftenhürde im Volksbegehren abgesenkt werden soll. Das ist auch ein Erfolg von Mehr Demokratie, denn wir haben die schlechten hessischen Regelungen immer und immer wieder zum Thema gemacht. Bislang gab es insgesamt 7 Anläufe die direkte Demokratie zu nutzen. Lediglich ein Verfahren übersprang die Antragshürde von 90.000 Unterschriften, scheiterte jedoch letztlich an der bundesweit höchsten Unterschriftenhürde im Volksbegehren von rund 900.000 Unterschriften [weitere Infos]. Nun soll diese Hürde im Volksbegehren von 20 auf 5 Prozent fallen. In absoluten Zahlen ist das eine Absenkung von 900.000 auf 220.00 Unterschriften. Im Gegenzug wird jedoch eine neue Hürde im Volksentscheid eingeführt. Dieser soll nur zustande kommen, wenn 25 Prozent der Stimmberechtigten der Vorlag im Entscheid zustimmen. Das heißt, es müsse über eine Millionen Bürgerinnen und Bürger zur Abstimmung gehen und für den Vorschlag stimmen. Trifft dies nicht zu, so ist der Volksentscheid trotz aller Mühen umsonst und nicht gültig. Beispiel: Ein Volksentscheid endet mit 60% zu 40%. Dieser ist nach der Verfassungsreform nur gültig, wenn die 60% einem Viertel der Stimmberechtigten entsprechen. 

Wie das gesamte Verfahren abläuft und welche Schrauben nicht gedreht werden, sieht man in unserer nachfolgenden Übersicht: 

 

Direkte Demokratie auf Landesebene vor und nach der Verfassungsreform

  Vor der Verfassungsreform Nach der Verfassungsreform
     
1. Stufe: Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens Unterschriften von 2% der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigten: rund 90.000 Unterschriften Unterschriften von 2% der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigten: rund 90.000 Unterschriften
  Die Unterschriften dürfen frei gesammelt werden. Die Unterschriften dürfen frei gesammelt werden.
  Frist: 1 Jahr Frist: 1 Jahr
  Sind die Voraussetzungen erfüllt, behandelt der Landtag das Anliegen der Initiative. Sind die Voraussetzungen erfüllt, behandelt der Landtag das Anliegen der Initiative.
2. Stufe: Volksbegehren Unterschriften von 20% der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigten: rund 880.000 Unterschriften Unterschriften von 5% der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigten: rund 220.000 Unterschriften
  Unterschriften dürfen nicht frei gesammelt, sondern nur auf den Ämtern geleistet werden. Unterschriften dürfen nicht frei gesammelt, sondern nur auf den Ämtern geleistet werden.
  Frist: 2 Monate Frist: 2 Monate
3. Stufe Volksentscheid Beim Volksentscheid entscheidet die einfache Mehrheit. Ein Volksentscheid kommt nur zustande, wenn 25% der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigter der Vorlage zustimmt, in Zahlen: Wenn über eine Millionen Menschen dem Vorschlag im Volksentscheid zustimmt.

Was nach der Reform wichtig ist

Die Verfassungsreform kann also nur der erste Schritt sein, denn zahlreiche Hürden werden nicht erleichtert und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Sie stehen nicht in der Verfassung, sondern im einfachen Gesetz. Doch gerade diese sind für gut funktionierende direktdemokratische Verfahren besonders wichtig: 

Amtseintragung im Volksbegehren 

Bislang kann man ein Volksbegehren nur auf dem Amt unterstützen, da die Unterschriften nicht frei gesammelt werden dürfen. Die sogenannte Amtseintragung ist mehr ein Hemmnis als ein Merkmal moderner politischer Beteiligung. Direkte Demokratie lebt von der öffentlichen politischen Sachdebatte. Durch die Amtseintragung kommt diese eigentliche Funktion jedoch nicht zum Tragen. Zudem werden unnötig hohe Anforderungen an die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger gestellt. Fast alle Bundesländer ermöglichen die freie Unterschriftensammlung. Bayern, Brandenburg, Sachsen und Hessen sehen immer noch die strikte Amtseintragung vor. 

2 Monate für ein Volksbegehren?

Neben die restriktive Amtseintragung stellt sich als weitere schlechte Regelung eine Frist von lediglich zwei Monaten. Eine kurze Frist, wenn man die Ausgestaltung in den anderen Bundesländern betrachtet: 10 Bundesländer sehen eine Sammelfrist von mindestens 4 Monaten vor. In 6 Bundesländern beträgt die Frist sogar mindestens ein halbes Jahr. 

Keine Informationsbroschüre mit Pro und Kontra vor dem Volksentscheid? 

Jede Maßnahme, die einen Beitrag zur Informationslage und damit der politischen Willensbildung leistet, ist in politischen Prozessen zentral. Deswegen sehen viele Bundesländer eine verpflichtende Abstimmungsbroschüre vor, die allen Stimmberechtigten vor der Abstimmung zugesendet werden und neutral das Pro und Kontra darstellen. In Hessen gibt es eine solche Verpflichtung bislang nicht.

Transparenz gehört zur direkten Demokratie!

Transparenz schafft Vertrauen und ist auch in direktdemokratischen Verfahren zentral. Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen können, ob und welche finanzstarke Interessen hinter einer Initiative stecken. Durch Transparenzregelungen werden Interesseneinflüsse durchsichtig und Inhalte nachvollziehbar gemacht. Bislang sind solche Regelungen in Hessen allerdings nicht vorgesehen. 

Niedrigschwellige erste Stufe wichtig

Vor einem Volksbegehren als zweite Stufe steht das sogenannte Zulassungsverfahren. Bislang sind hierfür 90.000 Unterschriften nötig. Wird dies erreicht, erfolgt eine parlamentarische Behandlung des Anliegens. Viele Initiativen haben gerade das Ziel ein Anliegen im Parlament beraten zu lassen. Ob sie den langen und anstrengenden Weg hin zu einem Volksentscheid gehen möchten, ist zu diesem Zeitpunkt oftmals noch nicht klar. Deswegen - das zeigt auch die Erfahrung der anderen Bundesländer - ist es wichtig, die erste Stufe möglichst niedrigschwellig anzusetzen. Eine gut ausgestaltete erste Stufe nimmt dann die Funktion eines gesellschaftlichen Seismographen ein. Dabei sollte auch ein Rederecht der Initiatoren bei der anschließenden parlamentarischen Behandlung vorgesehen sein, sodass sie repräsentative und direkte Demokratie auf Augenhöhe begegnen und eine dialogische Komponente Anreize zur Kompromissfindung schafft. 

Hessen hat mit rund 90.000 Unterschriften bislang die höchste Hürde in der ersten Stufe. Das Mittel der anderen Bundesländer liegt bei 19.000 Unterschriften. Eine Rede- bzw. Anhörungsrecht der Initiative ist nicht vorgesehen. Für eine Politik des Miteinanders ist dies eine wünschenswerte Stellschraube. 

Nach der Verfassungsreform sind also weitere Schritte nötig, um den Bürgerinnen und Bürgern ein faires Mitspracheinstrument zu geben. Wir können allen Stimmberechtigten nur empfehlen, die historische Chance der Hürdenabsenkung zu nutzen. Gehen Sie mit uns den ersten Schritt und lassen sie uns danach weitere gehen. 

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