Die Sanierung der Frankfurter Paulskirche ist seit knapp zwei Jahren immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Mal sind der Zeitpunkt der Fertigstellung, mal die jeweils anteilige Finanzierung von Bund, Land und Stadt Thema. Im Sommer vergangenen Jahres hatte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bestreben eingeschaltet, die Paulskirche zu einem Gegenstand nationaler Tragweite zu machen.
Parallel zur Sanierung des symbolträchtigen Bauwerks soll nach Plänen der Stadtverordnetenversammlung ein Haus der Demokratie entstehen. Dieses ist als Begegnungs-, Kommunikations- und Lernort für verschiedene Zielgruppen aus dem In- und Ausland geplant. Partizipative Veranstaltungen und Workshops zu demokratischen Inhalten könnten Teil der städtischen Zivilgesellschaft werden. Bisher sind vier verschiedene Standorte in räumlicher Nähe zur Paulskirche für das neue Demokratiezentrum im Gespräch.
Verantwortlichkeiten für die Planung
Bis Ende 2022 soll das Konzept zur Umgestaltung der Paulskirche vorliegen. Viele Fragen, auch zur Art des Neubaus, sind noch offen. Dazu ist bisher ein Expert:innengremium vom Bundespräsidenten berufen worden. Es besteht aus Herfried Münkler, emeritierter Professor für Politikwissenschaften, Historiker Hans Walter Hütterer und Peter Cachola Schmal, Leiter des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt.
Die bauliche Expertise aus dem hessischen Bauministerium und eine Steuerungsgruppe von Bund, Land und Stadt ergänzen zusätzlich die Entscheidungsprozesse. Die Römerkoalition hat sich grundsätzlich für die Gründung einer Stiftung von Stadt, Land und Bund ausgesprochen, welche das Haus der Demokratie leiten soll. Im Anschluss möchte die Römerkoalition ein Gutachten beim Haus der Geschichte in Bonn und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin in Auftrag geben. Die Expert:innenkommission soll die Vorschläge debattieren.
Bürger:innenbeteiligung - konsequent statt auf Sparflamme
Nach aktuellen Planungen der Stadt ist eine Bürger:innenbeteiligung neben der fachlichen Expertise nur im Rahmen eines „Bürger:innenforums“ vorgesehen, in dem erstellte Gutachten und Stellungnahmen präsentiert werden. Eine frühzeitige Einbindung über ein Bürger:innengutachten, das die Stadt Frankfurt in Auftrag geben könnte, wird nicht diskutiert.
Felix Hoffmann, Mitglied des hessischen Landesvorstands von Mehr Demokratie e.V., hält die bisherigen Beteiligungspläne für zu kurz gegriffen: „Bürgerinnen und Bürger sollten gerade bei der Frage, wie ein Begegnungsort der Demokratie ausgestaltet werden kann, von Anfang an konsequent einbezogen werden.“ Wünschenswert wäre die Einsetzung eines per Zufallsauswahl zustande kommenden Bürger:innenrats, in dem 20 bis 30 Frankfurter:innen über mehrere Tage hinweg Vorschläge für das neue Demokratiezentrum erarbeiten können.
Mit der Einsetzung eines solchen Bürger:innenrats würde die Stadt Frankfurt kein Neuland betreten. Bereits 2019 fand ein von der Initiative mehr als wählen organisierter Demokratiekonvent statt, der im Mai 2021 seine Neuauflage mit dem Thema Klimapolitik begeht. Zudem zeigt die Stadt mit der Bereitstellung von 150.000€ im Doppelhaushalt 2020/2021 für die Erarbeitung eines Beteiligungskonzepts den politischen Willen, sich stärker mit bürger*innenschaftlicher Beteiligung zu befassen.
Der Bürger:innenrat - innovatives Beteiligungsinstrument
Ein prominentes Beispiel der jüngeren Geschichte der Bürger:innenräte stammt aus Irland. Das dortige Parlament entschied sich im Licht der ökonomischen Krise des Landes für die Einsetzung eines Bürger:innenrats, der Anstöße für die veraltete Verfassung geben sollte. Dieser empfahl unter anderem die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, welche in einem Referendum von 62 Prozent der Bevölkerung angenommen wurde. Aufgrund des Erfolgs folgte ein zweiter Bürger:innenrat, der sich auch mit dem strikten Abtreibungsverbot befasste und eine Liberalisierung empfahl. Die irische Bevölkerung nahm auch diese Reform mit einer Mehrheit von 66 Prozent an.
In Deutschland hat das Modell ebenfalls an Konjunktur gewonnen. Aktuell läuft ein bundesweiter Bürger:innenrat zu Deutschlands Rolle in der Welt, welcher von Mehr Demokratie und der Initiative Es geht los! initiiert wurde. Bereits im Herbst 2019 fand der Vorläufer-Bürger:innenrat in Leipzig statt, der sich mit der Stärkung der Demokratie befasste. Beispiele aus Baden-Württemberg verdeutlichen die Attraktivität des Modells für die kommunale Ebene. Dort erarbeiten Zufallsbürger:innen regelmäßig Empfehlungen für Sachfragen. Jüngst formulierte ein digital stattfindender Bürger:innenrat Vorschläge zur Sanierung der Stuttgarter Oper.
Bürger:innenräte können bei spezifischen Themen die Beteiligungskultur zwischen Wahlen fördern. Durch die Zufallsauwahl wäre das Entscheidungsgremium für die Konzeption der Demokratiezentrums inklusiver zusammengesetzt. Bürger:innenräte füllen eine Repräsentationslücke und ergänzen die repräsentative Demokratie, da Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte und geringerer formaler Bildung sowie jüngere Bürger:innen in Parlamenten oft unterrepräsentiert sind.
Eine Institutionalisierung von Bürger:innenräten auf kommunaler Ebene hätte den Vorteil, dass es für einzelne Menschen sehr wahrscheinlich wäre, im Laufe eines Lebens an einem solchen Prozess beteiligt zu werden. Eine derartige Beteiligung könnte das Interesse an Politik und das Engagement für eine partizipative Gesellschaft fördern. Nur, wenn alle sich in einem Gemeinwesen verantwortlich fühlen, wird dem populistischen Narrativ des „Die da oben“ der Zahn gezogen.
Die Paulskirche hat als historisch tradiertes Symbol der deutschen Meinungsfreiheit und demokratischen Beteiligung eine besondere Strahlkraft. Eine lebendige Demokratie verdient einen eigenen Ort. Was wäre besser, als die Entstehung dieses Ortes mit einem Bürger:innenrat zu beginnen?